JANUAR ‘16

MAI ‘17
ÄTHIOPISCHE KAFFEEZEREMONIE ODER SLOW COFFEE MOVEMENT?

ÄTHIOPISCHE KAFFEEZEREMONIE ODER SLOW COFFEE MOVEMENT?

Immer, wenn ich einen Bericht über den “neuen” Trend “Slow Coffee Movement” entdecke, huscht mir ein Lächeln übers Gesicht, denn ich werde sofort an meine Reise nach Äthiopien erinnert, wo ich die schönste Art Kaffee zu genießen kennengelernt habe.

Dort ist die Tradition der Kaffeezeremonie kulturell tief verwurzelt, denn die Geschichte des Kaffees beginnt in Äthiopien. Wie und wo die Kaffeebohne und das Getränk Kaffee in Äthiopien entdeckt wurden, darüber gibt es viele Legenden und Geschichten. Eine davon erzählt, dass Hirten ihre Ziegen beim Fressen von roten Beeren beobachteten und die Ziegen anscheinend davon sehr aufgeweckt und unruhig wurden. Als ein Hirte die Frucht am Abend selbst probierte und er den Geschmack aber so bitter und ungenießbar fand, spuckte er diese sofort ins Feuer. Durch das Feuer entfaltete sich der verführerische Duft von gerösteten Kaffeebohnen und verbreitete das herrliche Kaffeearoma.

Das Ursprungsgebiet von Kaffee liegt in den Bergen von Kaffa, dem abessinischen Hochland. In Äthiopien liegen heute drei der besten Anbaugebiete von Arabica Kaffee weltweit – Yirga, Harar und Sidamo. Die hohe Qualität und die Besonderheit des äthiopischen Kaffees liegen in der Tatsache, dass der Kaffee immer noch traditionell von wildwachsenden Bäumen in den Waldgärten des Regenwaldes geerntet wird und nicht in Plantagen. In einer Höhe von 1200 bis 2000 Meter und mit einer Durchschnittstemperatur von 18 bis 22°C herrschen optimale Bedingungen für den Kaffeeanbau. Die Ernte erfolgt in mühsamer Handarbeit. So werden immer nur die reifen Früchte geerntet, was eine gleichbleibend erstklassige Qualität garantiert.

Kaffee hat einen unglaublich hohen traditionellen Stellenwert in der äthiopischen Gesellschaft. Das Herz Äthiopiens schlägt für Kaffee und wer dieses Herz entdecken will, hat dazu die beste Möglichkeit bei einer äthiopischen Kaffeezeremonie.

Als ich bei meinen Freunden in Äthiopien ankam, wurde ich nach der allgemeinen Begrüssungsrunde (diese hat einige Zeit gedauert, denn es sind sehr viele, die auf dem Hof und im Haus geschäftig unterwegs sind und es ist ein kommen und gehen von Familienmitgliedern, Freunden, Nachbarn, Hilfskräften und Neugierigen) herzlich auf einen Kaffee eingeladen. Da ich Kaffee liebe, habe ich die Einladung sehr gern angenommen, parallel dazu habe ich aber auch bemerkt, dass die Vorbereitungen zur obligatorischen Kaffeezeremonien schon längst in vollem Gange waren und sich die ersten schon im Kreis um den kleinen Ofen, auf den gerade nochmal glühenden Kohlen aus der Küche nachgelegt wurden, platzierten.

Die Kaffeezeremonie wird auch innerhalb der Familie ein- bis dreimal am Tag durchgeführt, darf aber auf keinen Fall fehlen wenn Gäste kommen. Die Zubereitung des Kaffees ist reine Frauensache. In einem extra dafür angelegten traditionellen Kleid mit dem typischen Schal setzt sich die Gastgeberin auf einen Hocker. Vor ihr auf dem Boden verteilt sie frische Gräser zur Dekoration, während sich die Gäste im Kreis um sie herum verteilen, zuschauen und sich unterhalten. Die gewaschenen grünen Kaffeebohnen werden in einer kleinen Pfanne auf einem Ofen mit glühender Kohle geröstet und verbreiten so einen verführerischen Duft. Das dauert seine Zeit und braucht Geduld.

Die noch heißen Bohnen werden anschließend in einem Holzmörser zu feinem Pulver zerstoßen, während in einer Jebana das Wasser auf dem Ofen zum Kochen gebracht wird. Die Jebana ist das traditionelle Tongefäß zum Kaffee kochen und wird direkt auf die glühende Kohle gestellt. Sie ist bauchig rund und hat einen langen Hals mit Ausgießer.

Um die Feierlichkeit der Zeremonie noch zu unterstreichen werden zusätzlich noch einige Brocken Weihrauch auf die Kohle gelegt und entfalten zusammen mit dem Kaffee und der Holzkohle einen sehr schweren sinnlichen Duft. Sobald das Wasser in der Jebana kocht, wird das Kaffeepulver eingefüllt und der Kaffee für den ersten Sud ein bis dreimal aufgekocht. Auf einem Tablett neben dem Ofen stehen schon die vorbereiteten Mokkatässchen bereit, die nun für die Gäste eingefüllt werden und mit mindestens 2 kleine Löffel Zucker serviert werden. Je nach Region werden im Kaffee auch Gewürze wie Kardamom oder Nelken, Milch oder Butter mitgekocht.

Während die Gäste ihre erste Tasse genüsslich schlürfen, bereitet die Gastgeberin den zweiten Sud vor. Drei Tassen sind bei einer äthiopischen Kaffeezeremonie Pflicht. Die erste Tasse wird zum reinen Genuss getrunken. Die zweite Tasse wird zum Besprechen aktueller Probleme genutzt und die dritte wird zum Segen der Anwesenden getrunken. Zum Kaffee wird meist gesalzenes Popcorn und geröstetes und gewürztes Getreide „Kollo“ gereicht.

Eine Kaffeezeremonie hat im alltäglichen Leben der Menschen in Äthiopien, vor allem im Leben der Frauen, auch einen wichtigen sozialen Aspekt und wird genutzt, um Meinungsverschiedenheiten zu diskutieren und Probleme untereinander zu lösen.

Die Hintergründe der Kaffeezeremonie in Äthiopien habe ich erst später mitbekommen, den man wird als Gast immer höflichst gefragt und auch die Entscheidung wird ganz und gar toleriert. Es wird aber sehr gern auch mal über eine nicht ganz übliche Entscheidung ein Witz in der Runde gemacht, über den alle herzlich lachen, nur eben nicht die Gäste, wie ich, die kein Amharisch verstehen.

Bei einer äthiopischen Kaffeezeremonie habe ich aber die ganze Warmherzigkeit, die Offenheit, den Humor und die Lebensfreude der äthiopischen Menschen erfahren, die ich sofort ins Herz geschlossen habe.

AUTORIN

doro

DOROTHEA KESS
Diplom-Ingenieurin, Innenarchitektur
PURIST GmbH, Ludwigsburg

d.kess@purist-design.de

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